Das Festival

All Star Band

Morgenland All Star Band 2013 © Andy Spyra
Morgenland All Star Band 2013 © Andy Spyra

Die Morgenland All Star Band fasziniert seit 2012 mit einem globalen Soundgeflecht aus traditionellen Klängen, Jazz und Rock. Die  Band vereint einige der herausragenden Musikerpersönlichkeiten des Vorderen Orients mit europäischen Jazzgrößen. Die Band begeisterte im Bimhuis in Amsterdam ebenso wie im Berliner Pierre Boulez Saal, in der Philharmonie von Almaty, im Saygun Culture Center in Izmir oder auf einer Tour durch China.

 

Ibrahim Keivo - Gesang
Dima Orsho - Gesang
Kinan Azmeh - Klarinette
Ziya Gückan - Violine
Moslem Rahal - Ney
Frederik Köster - Trompete
Michel Godard - Tuba, Serpent
Salman Gambarov - Klavier
Chris Jennings – Bass
Rony Barrak - Darbouka
Bodek Janke - Schlagzeug & Perkussion

Dima Orsho (Syrien/ USA) eine der ganz wenigen Sängerinnen, die sowohl in der arabischen Musik wie auch in der klassischen Musik weltweit erfolgreich sind, Grammy-Preisträgerin und Mitglied in Yo-Yo Mas Silk Road Project

Ibrahim Keivo (Syrien/ Deutschland) wie kein Zweiter präsentiert der syrisch-armenische Sänger und Multi-Instrumentalist die vielfältige Musikkultur Mesopotamiens. Soloabende und Konzerte in der Elbphilharmonie, Alten Oper Frankfurt, Kölner Philharmonie. Konzerte und Aufnahmen mit der NDR Bigband und vielen anderen internationalen Ensembles.

Kinan Azmeh (Syrien/ USA) international gefeierter Klarinettist, Grammy-Preisträger und Mitglied in Yo-Yo Mas Silk Road Project, Opus Klassik Preisträger 2019

Ziya Gückan (Türkei) Geiger und Bratscher aus Izmir. Grandioser Improvisator und Mitglied im Izmir State Opera Orchestra

Moslem Rahal (Syrien/ Spanien) syrischer Ney-Spieler. Rahal gilt als bester Neyspieler überhaupt. Er ist Berater für arabische Musik von Jordi Savall

Frederik Köster (Deutschland) international gefeierter Trompeter, mehrfacher Preisträger namhafter Jazzpreise

Michel Godard (Frankreich) Tuba- und Serpentvirtuose, seit vielen Jahren mit Legenden der östlichen Musik wie Alim Qasimov oder Rabih Abou-Khalil tätig

Salman Gambarov (Aserbaidschan) aserbaidschanischer Pianist, einer der spannendsten Köpfe im Bakuer Jazzleben

Rony Barrak (Libanon) der führende Darbouka-Virtuose weltweit, also Solist u.a. mit London Philharmonic, Bremer Philharmonikern, Stockholmer Philharmonikern u.v.a.

Bodek Janke (Polen/ Deutschland) einer der vielseitigsten Schlagzeuger und Perkussionisten unserer Zeit.

 

Das Restaurant Arabesque war einmal eine feine Adresse für gutes Essen und gute Gespräche in der Altstadt von Damaskus. An einem Abend im Frühsommer 2008 saßen dort der Leiter der Syrian Big Band, Hannibal Saad, und der syrische Komponist Nouri Iskandar mit dem Filmemacher Frank Scheffer aus Amsterdam und dem Leiter des Morgenland Festivals Osnabrück, Michael Dreyer, zusammen. Der Zufall wollte es, dass gleichzeitig Kinan Azmeh seine Heimatstadt besuchte und mit dem befreundeten Tubaspieler Charbel Asphahan seinen ersten Abend in Damaskus ebenfalls im Arabesque feierte. Hannibal Saad bat die beiden an den Tisch mit den Gästen aus Europa – und auch wenn die Unterhaltung zwischen Dreyer und Azmeh an diesem Abend nur kurz währte, war damit der Grundstein gelegt für eine vielfältige musikalische Zusammenarbeit, deren Dimension und Potential zu diesem Zeitpunkt noch niemand erahnen konnte. Seitdem ist der syrische Klarinettist zu einer zentralen Figur beim Morgenland Festival geworden; seine Kompositionen, seine Inspiration und vor allem sein betörend schönes, aufpeitschend wildes Klarinettenspiel haben das Festival maßgeblich geprägt. Weil Azmeh neben allen musikalischen Qualitäten auch über die Gabe verfügt, seine Ideen zu vermitteln, ist er zu einem Stützpfeiler der Morgenland All Star Band geworden. Wenn man so will ist die Formation im Arabesque in Damaskus entstanden. Bis sie das Bühnenlicht der Musikwelt erblickte, sollten allerdings noch vier Jahre vergehen.

Wie es sich für eine All Star Band gehört, hatte sich jeder der beteiligten Musiker bereits vor dem ersten gemeinsamen Auftritt 2012 in Osnabrück einen klangvollen Namen erworben – in der vielfältigen westlichen wie in der ebenso vielfältigen Welt der Musik des Nahen Ostens und Nordafrikas, im Jazz wie in der Klassik. Ein gutes Beispiel dafür ist der Tuba- und Serpent-Virtuose Michel Godard, der in den unterschiedlichsten Stilen zu Hause ist. Trompeter Frederik Köster zählt zu den profiliertesten und kreativsten Protagonisten der experimentierfreudigen Kölner Jazzszene, Drummer Bodek Janke bewegt sich virtuos und authentisch sowohl auf dem Feld der westlichen Klassik und des Jazz, als auch auf dem der indischen klassischen Musik. Oder Salman Gambarov aus Baku in Aserbaidschan: Der Pianist lässt sich von der Polyphonie Bachs inspirieren, verwandelt John Lennons Imagine in eine zauberhafte Jazz-Träumerei und kombiniert das Ganze mit den Skalen, Rhythmen und der Metrik seiner musikalischen Wurzeln. Ähnlich geprägt ist Moslem Rahal: Einerseits fest verankert in der Tradition seiner syrischen Heimat, bereichert er andererseits mit seinem Spiel auf dem Holzblasinstrument Ney schon seit Jahren das Ensemble Hespèrion XXI von Jordi Savall (der seinerseits beständig den gesamten Mittelmeer-Raum musikalisch erkundet). Rony Barrak spielt die Bechertrommel Darbuka mit Chick Corea ebenso wie mit dem österreichischen Perkussionisten Martin Grubinger. Sängerin Dima Orsho und Kinan Azmeh schließlich sind beide in Damaskus geboren und aufgewachsen, um dann in den USA klassischen Gesang bzw. Klarinette zu studieren. Ihren arabischen Wurzeln spüren sie gemeinsam unter anderem im Ensemble Hewar nach. Eine ähnliche musikalische Sozialisation hat Geiger Ziya Gückan durchlaufen; der türkische Musiker spielt im Orchester der Oper in Izmir. Sänger Ibrahim Keivo schließlich bringt das unverfälschte Element der traditionellen Musik in die All Star Band ein: Wie Anfang des 20. Jahrhunderts Béla Bart.k und Zolt.n Kod.ly die Volksmusik ihrer ungarisch-rumänischen Heimat aufzeichneten, hat Keivo die Musik der Kurden, Jesiden und Syrer gesammelt – bis ihn der Bürgerkrieg aus seiner Heimat, der Region Al-Jazeera im Nordwesten Syriens, vertrieb.

Im Zusammentreffen all dieser unterschiedlichen Einflüsse symbolisiert sich eine Grundidee der Morgenland All Star Band: zu erkunden, welche Energie sich entfaltet, wenn unterschiedliche musikalische Welten aufeinandertreffen und respektvoll miteinander umgehen. Denn es ist keineswegs selbstverständlich, dass dieser Austausch Früchte trägt. So sehr immer wieder die universelle Macht der Musik beschworen wird als Sprache, die ohne Worte auskommt, so wenig wird sie automatisch zur Lingua franca für den Dialog der Kulturen. Sicher wurzelt die Musik des Westens wie die des Nahen Ostens in der Region zwischen Mittelmeer und Persischem Golf. Die Vorläufer von Geige, Gitarre und vielen europäischen Perkussionsinstrumenten stammen aus dieser Gegend. Doch die Idiome entwickelten sich höchst unterschiedlich – und so mag heute die Tonmalerei in Beethovens „Pastorale“ einem von der arabischen Tradition geprägten Hörer beim ersten Eindruck ebenso schwer verständlich erscheinen wie einem europäischen Hörer die vielschichtige Bedeutung eines arabischen Maqams. Dabei konstituiert dieses Tonsystem die Musik der arabischen und persischen Welt – rein musikalisch und spirituell. Weil es aber mit anderen Intervallen, anderen Tonfolgen arbeitet als die westliche Musik, entstehen zwangsläufig Spannungen, Reibungen. Vereinfacht gesagt beschreiben Maqamat zunächst Tonleitern, Skalen, wie sie auch in der westlichen Musik gebräuchlich waren, bevor sich im Barock die Vielfalt der alten Modi, der Kirchentonarten, auf zwei nivelliert hat: unser heutiges Dur-Moll-System. Der Jazz war es unter anderem, der zunächst die Kirchentonleitern mit ihren charakteristischen Tonfolgen neu entdeckte, um sich damit schließlich auch Tonräume außereuropäischer Kulturen zu erschließen. Vielleicht ist das ein Geheimnis der Morgenland All Star Band: Ihre Musik fußt auf den Errungenschaften des Jazz, gibt einen ordentlichen Schuss Fusion dazu und räumt dabei den Mikrotönen des Maqam den gleichen Raum ein.

Die Formation pflegt diesen Dialog mit einigem Erfolg und mit weltweiter Wirkung. Konzerte im Amsterdamer Bimhuis, eine vierwöchige Tournee durch chinesische Großstädte und zuletzt Gastspiele in Kasachstan verbindet, bei aller Unterschiedlichkeit, eines: die überaus positive Resonanz beim Publikum. Dabei fordert der experimentelle Charakter der Musik die Zuhörer durchaus heraus. Womöglich war Perkussionist Rony Barrak deshalb beim Gastspiel in seiner Heimatstadt Beirut nervös wie selten im Vorfeld eines Konzerts: Erstmals spielte die Morgenland All Star Band vor seinen Freunden und Verwandten. Seine Sorge erwies sich als unbegründet: Das Publikum in einem ausverkauften Theater im Stadtteil Hamra war voller Begeisterung – nicht zuletzt aufgrund der herrlichen Soloduelle, die sich Barrak mit Bodek Janke lieferte. Die urtümliche Kraft, die Ibrahim Keivos Gesang entfaltet, lässt kaum jemanden kalt, der sie erlebt; die Virtuosität im Dialog zwischen Dima Orshos Gesang und der Klarinette Kinan Azmehs ist beeindruckend; und Frederik Kösters Trompetensoli bersten vor Energie. Doch das eigentlich Faszinierende an der Morgenland All Star Band ist die Sensibilität und Freude, mit der die Künstler aufeinander reagieren und miteinander Musik machen. So funktioniert der Dialog der Kulturen.

von Ralf Döring

Der Text entstand im Auftrag des Pierre Boulez Saal Berlin.